Haydn „Die Schöpfung“ 2012


„Die Schöpfung“

Einige Bemerkungen zum Werk
Resonanz der ersten Aufführungen

partiturDie Schöpfung wurde komponiert für drei (vier) Gesangssolisten Sopran, (Alt), Tenor und Bass, für einen vierstimmigen Chor: Sopran, Alt, Tenor und Bass und für ein großes spät-klassisches Orchester, bestehend aus:

drei Flöten, zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Fagotten, einem Kontrafagott, zwei Waldhörnern, zwei Trompeten, drei Posaunen, Kesselpauken und der üblichen Streichergruppe mit erster und zweiter Violine, Viola, Cello und Kontrabass sowie Cembalo oder ein Hammerklavier (für die Rezitative).

Es gibt wenig Zweifel, dass Haydn, gemessen am Standard seiner Zeit, ein großes Klangvolumen wünschte. Zwischen den privaten und öffentlichen Premieren fügte Haydn weitere Instrumentalparts in das Werk ein.

Die drei Solisten Sopran, Tenor und Bass repräsentieren Erzengel, die die sechs Tage der Schöpfung erzählen und kommentieren und den festen Stimmlagen zugeordnet sind.

  • Gabriel (hebr.) – Sopran, „Mann Gottes“, Engel der Verkündigung,
  • Uriel (hebr.) – Tenor, „Licht Gottes“ Regent des Sternenzeltes und des Engelheeres,
  • Raphael (hebr.) – Bass, „Gott heilt“, Schutzherr der Ungesunden, Pilger und Seeleute.

Im dritten Teil wird die Rolle des Adams üblicherweise – Haydns Praxis folgend – von dem Solisten gesungen, der auch den Raphael singt; das gleiche gilt für Eva und Gabriel. Die Passage der Alt-Solistin beschränkt sich auf die vier „Amen“ im Schlusschor.

Der Chor ist in einer Serie monumentaler Passagen eingesetzt, von denen einige das Ende eines Schöpfungstages feiern. Das Orchester spielt häufig ohne Gesangsbegleitung, vor allem in Tonmalerei-Episoden:

Beschreibung des Chaos, Aufgang der Sonne, Erschaffung der verschiedenen Tiere.

Das Werk besteht aus drei Teilen, die Haydn von vorneherein so festgelegt hat. Hingegen gibt es für die Bestandteile des Werkes zwei etwas voneinander abweichende Nummerierungen:

Teil l:
die Erschaffung des Lichts, der Erde, der Himmelskörper, des Wassers, des  Wetters und der Pflanzen,
Teil II:
die Schöpfung der Fische, Vögel, des Viehs, das kriechende Gewürm, das Heer der Insekten und schließlich des Menschen,
Teil III:
die ersten glücklichen Stunden von Adam und Eva im Garten Eden

Wie in anderen Oratorien gehen den größeren Arien und Chorsätzen oft kurze Rezitative voran. Hier gibt das Rezitativ die Worte der Genesis wieder, während die folgende Musik die biblische Erzählung in Versen aufnimmt.

Haydn hat sehr darum gerungen, dem Zuhörer zu Beginn des Werkes eine musikalische Vorstellung des Chaos zu geben. Das Orchester entwirft den Hintergrund, vor dem das gesungene Wort dann das Lob der Schöpfung anstimmt. Aus der offenen Oktave der Instrumente tritt das Chaos als die noch schlummernde Summe aller Möglichkeiten hervor und offenbart in immerfort drängenden, bohrenden Leittonschritten seinen Wunsch an den Schöpfer nach Sinn und Ordnung:

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde und die Erde war ohne Form und leer und Finsternis war auf der Fläche der Tiefe.

Bis endlich erstes Licht über der entstehenden Welt ausbricht, als wäre es nach Chaos und Finsternis die grandiose Selbstverständlichkeit:

Und der Geist Gottes schwebte auf der Fläche der Wasser
und Gott sprach: es werde Licht, und es ward Licht.

Sowie die ersten Töne geheimnisvoll aus dem Orchester aufsteigen, denkt man nicht mehr daran, dass wir inzwischen von Spiralnebeln gehört haben und gewohnt sind, von Milliarden von Lichtjahren zu sprechen. Die haydnsche Musik spricht eine Wahrheit aus, die von aller wissenschaftlichen Erkenntnis und allem Wissen um die Zusammenhänge – von denen man zu Haydns Zeit auch nicht die geringste Ahnung hatte – ganz offenkundig unberührt bleibt:

es ist kein Zufall, dass das Chaos nur darauf wartet, zur Schöpfung „einer Welt“ erlöst zu werden.

Dieser Moment wurde bei der öffentlichen Premiere zu einer Sensation. Ein Freund Haydns schrieb über seine Eindrücke:

In dem Moment, als das Licht zum ersten Mal erschien, konnte man sagen, dass Strahlen aus den leuchtenden Augen des Komponisten schössen. Die Verzauberung der elektrisierten Wiener war so allgemein, dass das Orchester lang nicht weiterspielen konnte.

Haydn hat sich dazu ebenso viele Gedanken gemacht wie über seine Konzeption des Chaos. Ihm ging es ganz entscheidend darum, in der knappsten Form musikalisch über das Anschauliche zur Anschauung vorzudringen:

das Wesen von Gestirn und Tageszeit, von Pflanze, Tier und Mensch zu erfassen und zu preisen. Der Geist schwebt, sichtbar und doch so entrückt.

Nun bauen sich die Elemente auf, zum Greifen nahe: Wie im Traum senkt sich der erste Schnee nieder. Und immer reicher, immer mehr belebt sich das Bild: Die Sonne hat zum ersten Mal ihre Bahn durchrannt, mit Mond und Stern hat sich der Tag vollendet. Es gibt ein Wunder: der Tag. Es ist ein Wunder, dass die Wasser schäumen, die Hügel und Felsen erscheinen, die Gipfel aufsteigen, die Ebene sich weit dehnt und der Bach rauscht:

Die Himmel erzählen die Ehre Gottes und seiner Hände Werk zeigt an das Firmament.
In alle Welt ergeht das Wort, jedem Ohre klingend, keiner Zunge fremd.

Unter diesem hochgewölbten Himmel wird es schon vertraulicher mit dem Blick näher an das Bild von Pflanze und Baum, Vogelgesang und Fischgewimmel, Vieh und kriechendem Gewürm, von Tieren der Erde nach ihren Gattungen sowie Wirbeln und Schwärmen von Insekten.

Nun scheint in vollem Glänze der Himmel; nun prangt in ihrem Schmucke die Erde.
Wie viele sind deine Werke? Wer fasset ihre Zahl?
Der Herr ist groß in seiner Macht und ewig bleibt sein Ruhm.

Bis endlich, weil noch nicht alles vollbracht ist, dem Ganzen noch das Geschöpf fehlt, das das Wunder dankbar sieht und des Schöpfers Güte preisen soll: der Mensch nach seinem Ebenbilde.

Mit Würd‘ und Hoheit angetan, mit Schönheit, Stärk‘ und Mut begabt,
gen Himmel aufgerichtet steht der Mensch, ein Mann und König der Natur
… aus ihm geformt, die Gattin, hold und anmutsvoll; in froher Unschuld lächelt sie.

All dies breitet Haydn vor dem lauschenden Ohr und inneren Auge aus, mit einer wunderbaren Klarheit und Deutlichkeit im Wechsel von Solostimmen in Rezitativ und Arie, von Instrumenten und Chor. Diese Darstellung der Schöpfung wurde mit Jubel empfangen und ist heute wie damals geliebt.

Es wird berichtet, dass schon die Uraufführungen, die vor geschlossenen Gesellschaften stattfanden, ein solches Interesse hervorgerufen haben, dass 30 Gendarmen, darunter 18 Berittene, abgeordnet waren, um den Weg zum Schwarzenberg’schen Palais freizuhalten.

Die Händler des benachbarten Marktes sollen sogar ihre Stände abgebaut haben, wofür jeder von ihnen von Schwarzenberg mit 10 Gulden und 20 Kreuzern entschädigt worden sein soll.

Der Abend der öffentlichen Premiere im Wiener Burgtheater wird in den Memoiren eines schwedischen Musikers wie folgt beschrieben:

Zwischen den Abschnitten brach jedes Mal stürmischer Applaus aus. Während der Abschnitte herrschte Todesstille. Am Ende der Aufführung riefen einige: ‚Wir wollen Papa Haydn!‘ Schließlich kam der alte Mann auf die Bühne und wurde laut begrüßt: ‚Es lebe Papa Haydn! Es lebe die Musik! Bravo, bravo, bravo!‘

Auch Berichte von anderen Zeitzeugen sind überliefert und alle vermelden übereinstimmend einen überaus großen Erfolg:

Schon sind drey Tage seit dem glücklichen Abende verflossen, und noch klinkt es in meinen Ohren, in meinem Herzen; noch engt der Empfindungen Menge selbst bey der Erinnerung die Brust mir.

Die wohl letzte große Freude im Leben Haydns war eine Aufführung im Festsaal der Wiener Universität: der greise Meister mitten in der festlichen Zuhörerschaft. Bei der Stelle „und es ward Licht“ spendeten die Hörer, wie stets, enthusiastischen Beifall. Haydn erhob die Hände, als ob er sagen wollte:

„NICHT VON MIR, VON DORT OBEN KOMMT ALLES!“