Haydn „Die Schöpfung“


„Die Schöpfung“

Ursprung der Texte und die ersten Aufführungen

Während seines ganzen Lebens legte Joseph Haydn (1732–1809) das Hauptgewicht seiner Arbeit auf das Gebiet der Instrumentalmusik: Sinfonien, Streichquartette, Klaviermusikwerke. In der Zeit seit 1782 jedoch, als Kaiser Joseph II. (1741–1790) vehement in die Souveränität der kirchlichen Autorität eingegriffen und eine Gottesdienstordnung erlassen hatte, die eine festliche, instrumental begleitete Musik weitgehend aus der Kirche verbannte, schwieg Haydn auf diesem Sektor.

Es darf als ein Wunder in der schöpferischen Biographie des Komponisten angesehen werden, dass nach Aufhebung des Erlasses der inzwischen 64-Jährige praktisch seine gesamte Schaffenskraft der Chormusik zuwandte und neue Großwerke vollbrachte, die dem schon vorhandenen Ruhm nachgerade eine neue Dimension hinzufügten.

Dazu gehört das Oratorium „Die Schöpfung“. Es entstand von Oktober 1796 bis April 1798 und behandelt – wie in der Bibel erzählt – die Erschaffung der Welt nach dem ersten Buch Moses (Genesis).

Der Überlieferung zufolge hat ein in London ansässiger Geiger und Konzertveranstalter Johann Peter Salomon (1745–1816) an Haydn ein Textbuch weitergegeben, das ein Mann namens Lidley ein halbes Jahrhundert zuvor für Georg Friedrich Händel (1685–1759) verfasst haben soll.

swietenDieses Libretto nach John Miltons „Paradise Lost“ gelangte durch Haydn an Baron Gottfried van Swieten (1733–1803). Dieser war Präfekt an der Kaiserlichen Hofbibliothek in Wien und Geschäftsführer einer Gesellschaft hochadeliger Musikliebhaber, der „Associirten H. Cavaliers“.

Er gab dem Textbuch eine neue Fasson, übersetzte es ins Deutsche und nannte es „Die Schöpfung“. Er schrieb damals dazu selbst in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung:

„Der Antheil, den ich an dem ursprünglichen englischen Werk habe, ist zwar etwas mehr als bloße Uebersetzung, doch bei weiten nicht so beschaffen, daß ich es als mein ansehen könnte.“

Da sich Lidleys Textbuch nicht erhalten hat, konnte dessen Eigenanteil an der deutschen Übersetzung nie verlässlich bestimmt werden.

Auch ließen einige sprachliche Schwächen im englischen Text schon bald später wiederholt den Verdacht aufkommen, van Swieten habe seiner deutschen Übersetzung nicht den originalen englischen Text zur Seite gestellt, sondern eine eigene Rückübersetzung seiner deutschen Fassung ins Englische.

Heute ist bekannt, dass van Swietens englische Sprachkenntnisse nicht ausgereicht haben, ein ganzes Textbuch in einer ihm eher fremden Sprache zu übersetzen. Als ebenso sicher gilt, dass Haydn einen deutschsprachigen Text vertonte, den van Swieten aus dem Englischen gewonnen und bestenfalls um einige Zusätze aus der eigenen Feder erweitert hatte.

Doch van Swieten wirkte nicht nur als Übersetzer, sondern Haydn hatte in ihm einen Mitstreiter gefunden, der in einer freien Bearbeitung erst ein wirkungsvolles Libretto herstellte und zusätzlich detaillierte Anregungen zur musikalischen Umsetzung gab, die Haydn durchaus zu schätzen wusste:

„Durch den präcisen Zuschnitt des Textes wird die Arbeit des Compositeurs erleichtert und der Dichter sey genöthiget, musicalisch zu dichten“.

Schließlich garantierte er zusammen mit adeligen Freunden die Aufführungskosten und ein „angemessenes“ Honorar für Haydn. Dabei handelte es sich mit 2.250 Dukaten um ein Honorar, wie es vorher noch niemals einem Komponisten gezahlt wurde. Setzt man das seinerzeitige Jahresgehalt eines Schullehrers von maximal 250 Gulden dagegen oder Haydns eigenes Jahresgehalt von 1.700 Gulden als Esterházyscher Kapellmeister, kann man den hohen Wert seines Honorars ermessen.

Die erste Aufführung fand demzufolge auch in privatem Rahmen vor einem adeligen Publikum und eigens eingeladenen Gästen im Wiener Palais des Fürsten Schwarzenberg am 29.4.1798 statt, mit einer Wiederholung am nächsten Tag. Die erste öffentliche Aufführung erfolgte erst ein volles Jahr später im alten Burgtheater. Dies war am 19.3.1799, Haydns Namenstag und er dirigierte diese erste Aufführung selbst. Alle Berichte von Zeitzeugen vermelden übereinstimmend einen überaus großen Erfolg:

„Die Musik hat eine Kraft der Darstellung, welche alle Vorstellungen übertrift; man wird hingerissen, sieht der Elemente Sturm, sieht es Licht werden, die gefallenen Geister tief in den Abgrund sinken, zittert beym Rollen des Donners, stimmt mit in den Feyergesang der himmlischen Bewohner.“

Haydn leitete etliche Aufführungen, ebenso die Wiederholungsveranstaltungen im Schwarzenberg-Palais und Burgtheater bis etwa 1803 selbst; darunter war sogar ein Konzert in Budapest am 8.3.1800.

Alle diese Aufführungen haben auch Änderungen und Verbesserungen am Werk erbracht, denn Haydn hat immer wieder kleinere Korrekturen veranlasst, wie eigenhändige Eintragungen zeigen, teils auch nur angesagt, worauf Notizen von fremder Hand hinweisen. Er hat aber selbst die einzelnen Sätze nicht nummeriert; die dreiteilige Gliederung hingegen ist authentisch.

Durch seine Englandreisen Anfang der 1790er-Jahre war Haydn in eine ihm bis dahin fremde Welt gekommen:

„er erlebte in London ein öffentliches Konzertleben, wie man es in Wien nicht kannte“.

Abgesehen von seinen eigenen Erfolgen, war er begeistert von der Qualität der Aufführungen. Er bestaunte die gewaltige Klangwirkung von einem riesigen Aufgebot an Mitwirkenden; notiert sind von ihm 885 Personen anlässlich einer großen Händel-Gedächtnisfeier in der Westminster-Abtei.

Diese Ereignisse haben einen großen Eindruck hinterlassen und er wird schon bald mit dem Gedanken gespielt haben, sich einer solchen Aufgabe, gemessen z. B. an Handels „Messias“, zu stellen. Für sein Oratorium „Die Schöpfung“ hielt Haydn eine große Besetzung für die einzig angemessene:

„Meine Composition ist gros geschrieben; sie wird daher auch nur bey einem zahlreichen und wohlgeübten Orchester ihr Glück und den gehörigen Effekt machen“.

Die Haydn-Forschung hat viele Belege über die ersten Aufführungen zusammengetragen und in diesem Zusammenhang auch die unterschiedliche Besetzungsstärke von Orchester und Chor untersucht. Daraus wird ersichtlich, dass es sowohl minimal besetzte Aufführungen als auch Orchesterstärken von bis zu 200 Musikern gegeben hat.

Das von Haydn für seine Aufführungen benutzte Material an Partitur-Abschriften und Stimmen gelangte aus dem Besitz der Wiener Tonkünstler-Sozietät in die Wiener Stadt- und Landesbibliothek und liegt – neben anderen Quellen – mit der Neuausgabe Edition C.F.Peters Frankfurt/ Leipzig/London/New York dieser heutigen Aufführung zu Grunde: Grundlage ist der erste durch Haydn autorisierte Druck von Ende Februar 1800.